Wissenstransfer zwischen Sportwissenschaft und Sportpraxis

Bericht zur  4. Jahrestagung der SGS
1./2. März 2012 an der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM

Die 4. Jahrestagung der Sportwissenschaftlichen Gesellschaft der Schweiz SGS hat sich dem Wissenstransfer zwischen Sportwissenschaft und Sportpraxis gewidmet. Über 160 Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler aus der Schweiz haben in Magglingen über Möglichkeiten und Grenzen der Verständigung zwischen Fachleuten aus Sportwissenschaft und Sportpraxis diskutiert. Die Diskussion wurde angereichert durch 30 Kurzvorträge und 48 Posterpräsentationen, die einen Überblick über die aktuellen Forschungsaktivitäten der Schweizerischen Sportwissenschaft boten.
 

Keynote Lectures – From Good to Great und Schwierigkeiten mit dem Transfer

Die beiden Tagungstage wurden jeweils eingeleitet durch eine 45-minütige Keynote Lecture. „From Good to Great? What is the evidence for the optimal integration of intensity and duration variables in elite endurance training?“ Unter dieser Frage präsentierte Stephen Seiler (University of Agder, Norway) neue Befunde zum Ausdauertraining von Spitzensportlern. Er empfahl in seinem Vortrag Ausdauerathleten in einem Verhältnis von 80%  (tiefer) zu 20% (hoher) Belastungsintensität sogenannt „polarisiert“ zu trainieren. Dabei betonte er die Wichtigkeit des Trainings mit tiefer Intensität und korrigiert den Spruch „NO PAIN – NO GAIN“ in „NO PAIN DOES NOT MEAN NO GAIN“: Dieses sei sehr wichtig, um längerfristig wichtige Faktoren im Ausdauerbereich zu optimieren. Das Training mit hoher Intensität sei auch wichtig, doch sollte dieses Training vorsichtig angegangen werden. Mehr in diesem Intensitätsbereich zu trainieren sei nicht einfach per se besser sondern müsse durch den Sportler auch „verarbeitet“ werden können.

Im zweiten Hauptvortrag referierte Ansgar Thiel (Universität Tübingen, Deutschland) über die Probleme und Möglichkeiten des Transfers sportwissenschaftlichen Wissens in die Praxis des Trainerhandelns. Nach Ansgar Thiel werden für das Trainerhandeln insgesamt drei Arten von Wissen handlungswirksam: 1. anekdotisches Wissen, das sich aus dem „Trial-and-Error“ im praktischen Handeln ergibt, 2. quasi-wissenschaftliches Wissen, ein Expertenwissen, das sich über eine lange Erfahrung im Praxisfeld aufbaut und wissenschaftlich angereichert sein kann und schliesslich 3. evidenzbasiertes Wissen, das durch wissenschaftliche Forschung erarbeitet wird. Insbesondere letztere Wissensform lässt sich nur bedingt in das Trainerhandeln transferieren: über Aus- und Fortbildung, über Beratung und über Forschungskooperationen.

Invited Symposia – Natur- und sozialwissenschaftliche Praxis- und Erkenntnisfelder

Zur 4. Jahrestagung der SGS wurden erstmalig jeweils zwei parallele natur- und sozialwissenschaftliche Symposia abgehalten, zu denen Referentinnen und Referenten aus der Sportwissenschaft und der Sportpraxis eingeladen wurden. Das erste „invited symposium“ setzte direkt an Stephen Seilers keynote lecture an und beschäftigte sich mit dem „High Intensity Training in Endurance Sports“. Mit Michael Vogt (Universität Bern) und Grégoire Millet (Université de Lausanne) sprachen zunächst zwei Vertreter aus der Sportwissenschaft zu Fragen des Ausdauertrainings, bevor Adrian Bürgi (EHSM Magglingen) seine Erfahrungen, Erwartungen und Herausforderungen im Spitzensport aus der Sicht der Trainerbildung in der Schweiz formulieren konnte. Ein zweites naturwissenschaftliches Symposium widmete sich der körperlichen Aktivität von Kindern. Bettina Bringolf (Universität Basel) und Johanna Hänngi (PH FHNW) gaben zunächst einen aktuellen Überblick über den Stand des Sport- und Bewegungsverhaltens von Kindern in der Schweiz sowie über Möglichkeiten der Erfassung des Sport- und Bewegungsverhaltens. Als Leiter des Jugend- und Erwachsenensports am BASPO konnte Markus Wolf aufzeigen, wie sportwissenschaftliche Erkenntnisse in die Entwicklung des neuen Förderprogramms J S-Kids eingeflossen sind.

Die sozialwissenschaftlichen Symposia beschäftigten sich mit Fragen des Schulsports und der Integration in und durch den Sport. Unter dem rahmenden Titel „Sportwissenschaftliche Erkenntnis und sportpädagogisches Handeln“ haben sich Roland Messmer (PH FHNW), Achim Conzelmann (Universität Bern) und Stefan Valkanover (Universität Bern) mit der Frage auseinandergesetzt, in welcher Form Erkenntnisse aus der Sportdidaktik, respektive aus der pädagogischen Psychologie in die pädagogische Praxis einfliessen können. Ophélia Jeanneret Varrin (EHSM Magglingen) präsentierte aktuelle Befunde aus ihrer Dissertation zur Beeinflussung von kognitiven Funktionen im Kindesalter durch Sport und Bewegung. Dass Sport und Bewegung die soziale Integration beeinflussen können, wurde zum Gegenstand des zweiten sozialwissenschaftlichen Symposiums. Nach einem Überblicksreferat zum Thema von Fabien Ohl (Université de Lausanne), widmete sich Yvonne Weigelt-Schlesinger insbesondere der vergleichsweise geringen Partizipation von Frauen mit Migrationshintergrund im organisierten Sport und stellte ihr Untersuchungsdesign zur Diskussion. Als Vertreterin des Praxisfeldes stellte schliesslich Jenny Pieth (EHSM Magglingen) vor, auf welche Weise sportwissenschaftliche Erkenntnisse ihren Weg in die Produkte des Kompetenzzentrums Integration durch Sport finden.

Poster Sessions – Wissenschaftliche Kommunikation on the point

Ebenfalls zur Diskussion beigetragen haben die fast 50 Poster, die während des ersten Tagungstages von den Autorinnen und Autoren im Rahmen einer geführten Präsentation vorgestellt wurden. Auch wenn die naturwissenschaftlichen Disziplinen innerhalb der Sportwissenschaft vergleichsweise häufiger die Möglichkeit zur Posterpräsentation nutzten, so haben die insgesamt 16 sozialwissenschaftlich orientierten Poster dennoch gezeigt, dass auch in diesen Disziplinen zunehmend von dieser Form wissenschaftlicher Kommunikation Gebrauch gemacht wird.

Wohin gehen Studierende der Sportwissenschaft?

Unter dieser Frage präsentierte Siegfried Nagel (Universität Bern) erste Ergebnisse einer vom Bun-desamt für Sport BASPO geförderten Studie zu den Berufskarrieren von Absolventinnen und Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge in der Schweiz (BASIS). Auf der Grundlage einer kohortenanalytisch angelegten Studie konnte Siegfried Nagel zeigen, wie sich die Berufskarrieren von Absolventen aus unterschiedlichen Jahrgängen (1984/85, 1994/95, 2004/05, 2006-8) entwickelt haben und Vergleiche zwischen ihnen anstellen. Die Ergebnisse der BASIS-Studie machen deutlich, dass die Mehrzahl der Absolventinnen und Absolventen sportwissenschaftlicher Studiengänge in der Schweiz auch in sportbezogenen Berufsfeldern tätig werden und bleiben; davon über die Hälfte an Schulen. Im Kohortenvergleich kann aber auch festgestellt werden, dass zunehmend auch ausserschulische Tätigkeitsfelder für die Berufskarriere erschlossen werden. Erfreulich ist, dass es sich bei den Anstellungen überwiegend um qualifikationsadäquate, unbefristete Stellen mit angemessener Bezahlung handelt. Alle Absolventinnen und Absolventen dokumentieren ausserdem eine hohe Zufriedenheit mit ihrem beruflichen Werdegang.

Generalversammlung

Am Abend des 1. März fand noch die 4. Ordentliche Generalversammlung der SGS statt. Die Geschäfte konnten gemäss Traktandenliste abgewickelt werden. Es wurde über ein erfolgreiches Vereinsjahr berichtet, den zunehmenden Mitgliederbestand und die finanziell solide Basis der Gesellschaft gerne zur Kenntnis genommen. Der Präsident bilanziert, stellvertretend für den Vorstand, die ersten 4 Jahre der SGS: Tätigkeitsbericht Vorstand
Ausserdem wurde der Vorstand für die nächsten zwei Jahre gewählt. Er setzt sich wie folgt zusammen:

Achim Conzelmann, Prof. Dr. > Präsident
Fabien Ohl, Prof. Dr. > Vizepräsident
Kurt Murer, Prof. Dr. > Vizepräsident, Vertretung NK, ad personam
Wolfgang Taube, Prof. Dr. (neu) > Nachwuchsförderung
Lukas Zahner, PD. Dr. (neu) > Austausch Lehre-Praxis
Ophélia Jeanneret Varrin (neu) > Vorstandsmitglied
Mirko Schmidt, Dr. (neu) > Geschäftsführer

Nachwuchspreis

Der SGS Nachwuchspreis wurde 2012 nach einem neuen Modus vergeben. Ausschlaggebend für die Modusänderung war die Tatsache, dass sich der Nachwuchspreis in den ersten drei Jahren einer derart hohen Beliebtheit erfreut hat, dass die Anzahl der Kandidaten/-innen jedes Jahr zunahm. Während in den ersten drei Jahren ein Poster eingereicht wurde, das im Rahmen einer 2-minütigen Kurzpräsentation dem Plenum präsentiert wurde, wurde von den Kandidaten/-innen in diesem Jahr ein erweitertes Abstract im Umfang von 1500 Wörtern verlangt.
Die Qualität der Abstracts wurde von den beiden Jurys (Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft) anhand eines vorgegebenen Kriterienkataloges bewertet. Die vier Kandidaten/-innen mit den höchsten Punktewerten wurden für eine kurze mündliche Präsentation ihrer Studie im Rahmen der Jahrestagung nominiert (10 Minuten Vortrag und 5 Minuten Diskussion). Wiederum wurden die Kandidaten/-innen von den Jurymitgliedern anhand bestimmter Kriterien evaluiert. Die besten beiden Nachwuchsforscher jeder Kategorie wurden schliesslich mit dem SGS Nachwuchspreis ausgezeichnet.
In der Kategorie Sozialwissenschaft nahmen insgesamt 13 Teilnehmer/-innen, in der Kategorie Naturwissenschaft sieben Teilnehmer/-innen am Wettbewerb teil. Sowohl der SGS-Vorstand, die Jurymitglieder, die Zuhörer/-innen als auch die Kandidaten/-innen waren der Ansicht, dass sich der neue Modus bewährt hat und in ähnlicher Form beibehalten werden kann. Die Preisträger/-innen der beiden Kategorien sind nachfolgend aufgeführt. Allen Kandidaten/-innen sei ganz herzlich für ihre Teilnahme gedankt.
 

Kategorie Sozialwissenschaft:

  • Marc Zibung, Universität Bern (1. Preis): Spezialisierung vs. Diversifikation in der Nachwuchsförderung im Fussball. Eine Studie auf der Grundlage des person-zentrierten Ansatzes
  • Esther Oswald, Universität Bern (2. Preis): Von der Förderung des sportbezogenen Fähigkeitsselbstkonzepts mittels individueller Bezugs-normorientierung

 

Kategorie Naturwissenschaft:

  • Stefano Lanzi, Université de Lausanne (1. Preis): Fat oxidation kinetics during exercise in obese individuals
  • Tatiane Gorski, Universitat Bern (2. Preis): Does the Relative Age Play a Role in Performance and Selection of Swiss Skiers?